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Ich sitze vor dem Bildschirm und rieche süßlich, als hätte ich lange im Flugzeug gesessen, dabei habe ich nur nicht geschlafen. Alle sollen wissen, dass ich schreibe, an die Dusche habe ich gar nicht erst gedacht. So rieche ich wenigstens den eigenen Schweiß und nicht die anderen Kotzbrocken hier, die sich über die Bildschirme beugen, ihre Rücken sind schon buckliger als die der hässlichsten Bücher dieser Redaktion. Und sie schimmeln. Seit Tagen schimmeln ihre Köpfe vor den Rechnern und brechen nichts als Wortmatsch. Von denen wird nie einer auch nur einen geraden Satz schaffen, sie sind ohne Grammatik geboren und werden ohne Guthaben sterben. Gut, dass ich rieche, auch wenn meine Aufzeichnungen nicht leserlicher dadurch werden. Ich frage mich, warum ich so viel notiere, wenn ich nicht entziffern kann, was ich geschrieben habe und die Formeln, ob das nun ein n oder m oder u ist. Dann dieser Kaffee aus Polen, der nach Pisse schmeckt und der Kaffeeweißer klärt das auch nicht. Ich brauche Koffeintabletten, auch wenn die meinen Kreislauf fertig machen. Wie an dem Abend, als ich eine Tüte Tiefkühlschnitzel ausgekotzt habe, das ganze Sofa war rot und in der Charité hat man mich ewig in der Notaufnahme sitzen lassen und ich habe gedacht, ich würde verbluten, weil ich so schlimm kotzen musste, weil mein Körper sich so zusammengezogen hat, wie eine Pumpe, und er dann in Wellen, in so Schüben nach oben gestiegen ist, der ganze Paniermehlfleischbrei. Dabei habe ich mir doch bestimmt was gerissen, habe ich gedacht, aber die dachten ich sei Hypochonder und haben mich ignoriert, in dieser Leichenhalle mit Not und Elend, mit schreienden Müttern, Kindern und Rentnern, denen man die Anzahl ihrer Oberschenkelhalsbrüche schon von den Falten ablesen konnte, die aus dem Krankenhaus nur noch über das Krematorium rausgekommen sind. Was habe ich heute gegessen, weil ich doch schon wie die Kinder in Afrika aussehe, mit den eingefallenen Brustkörben und den Luftballonbäuchen, und den trockenen Lippen und roten Augen, vom ganzen Bildschirmgestarre. Weil ich mir die Artikel nicht ausdrucke, weil das nur Papiermüll ist und Abfall gibt es eh genug und belastet mich extrem, da muss es nicht noch meinen Müll geben. Ich trenne eh schon alles und dabei wird einem ja wirklich mal bewusst, was man da den ganzen Tag für Dreck produziert. Ich sollte vielleicht gar nichts mehr essen, denn das macht am meisten Müll, diese Plastikschalen und Folien und Blech und Pappe, und sogar zwischen den Käsescheiben noch so ein kleines Papierchen, damit der Käse nicht an der nächsten Scheibe anpappt und da frage ich mich, warum soll der da nicht anpappen, ist doch egal, dann schneidet man die Käselappen eben mit dem Messer noch mal durch und dann ist gut. Weiß nicht mal in welchen Müll ich die schmeißen soll. Ist das jetzt Plastik oder Papier? Ist das gewachstes Papier und wo kommt das jetzt rein? Milchtüten müssen ja auch in den Metallmüll, wegen der Aluminiumschicht, damit die Milch nicht durchsifft und alles im Kühlschrank nach Babykotze riecht. So wie meine Nichte, die sich ständig übergibt, aber von der Muttermilch, die ist eher so rotztrüb. Deswegen esse ich auch immer Weingummitiere, die Dinosaurier, die zur Hälfte blau sind, so was von künstlich oder Schlümpfe. Da kann ich in einer Nacht eine ganze Box von essen, immer erst die Mütze und die klebe ich mir an den Gaumen. Dann versuche ich sie hin und her zu reiben, dass sie sich in meiner Spucke auflöst und den ganzen Gaumen mit so einer schleimigen, cremigen Schicht überzieht, die macht auch die Zunge ganz blau. Vom ganzen Kaffee und Energy habe ich sowieso saure Spucke und das geht bei mir schnell. Höre schon wieder Techno, aber nicht so Electro Minimal Scheiß, der überall in den Clubs läuft, sondern das Modul mit Computerliebe. Verliebt habe ich mich immer noch nicht. Vielleicht läuft was falsch mit mir, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie das ist mit dem Körperkontakt. Die ganzen Flüssigkeiten, die man da austauscht und jeder riecht anders und ich mag mich selbst auch nicht riechen, nach dem Aufstehen oder wenn ich lange unterwegs gewesen bin, dann rieche ich so süßlich, dann riechen alle so süßlich. Wenn man im Flugzeug sitzt und der Flug in der Nacht startet, duschen die meisten ja nicht, ich auch nicht, damit ich wenigstens mehr von mir und weniger von den anderen rieche. Das ist schon ein Unterschied. Das ist so ein Geruch von Verwesung, weil der Körper sich ständig erneuert, was von sich abträgt und die Haut Schuppen abstößt, die dann überall verteilt sind und wenn ich was anfasse, kleben da die Schuppen von einem anderen und meine und so habe ich immer Schuppen an meinen Händen und wenn ich mir in den Mund fasse, dann habe ich die Schuppen in mir drin, da brauche ich keinen Sex, das ist ja schon Körperkontakt, das reicht mir schon. Und dazu ein Glas Tomatensaft. Danach ist die Kotze auch so rot, wie von mir nach dem Schnitzel, mit der Panade, bestimmt voll mit Farbstoff, damit es goldbraun aussieht und appetitlich. Heute Abend gab es Kartoffelbrei mit Röstzwiebeln und Eisbergsalat mit Jogurtdressing aus der Flasche. Ich kann Leute nicht verstehen, die sich dann Essig und Öl, am besten auch noch so ein teures und dann löffelweise, Salz und Zucker, Senf, Marmelade, klein gehackte Zwiebeln dazutun und immer rühren und dann mit dem Finger rein, die Ablecker, ihr Speichel gehört wohl auch zum Verfeinern. In der Dosenfabrik war alles schön hygienisch, da haben wir Haarnetze getragen und weiße Kittel. Überall gab es Desinfektionsmittel, zum Händereinigen und morgens ging es durch eine Schleuse. Aber das wäre ja auch nicht auszudenken, wenn Bakterien in die Dose kommen, die ganzen Kosten. Das kann einen Betrieb ruinieren, deshalb wird alles abgekocht und Vakuum verschlossen, das hält 100 Jahre, da muss man sich keine Sorgen machen. Seit neuestem haben die Mehrkomponenten-Essen in Schalen, eine Mahlzeit, in fünf Minuten Mikrowelle erwärmt. So was wie Rinderroulade mit Rotkohl oder Klößen, die sind aber nichts gegen Mc Donalds. Da der Veggie Burger mit Pommes und süßsaurer Soße und eine Apfeltasche hinterher, die einem die Zunge verbrennt, wenn da kochendheiß das Apfelmus raus läuft. Bei mir läuft nichts mit Mathe. Mathe, wenn ich das könnte. Warum kann ich Schreiben aber kein Mathe, wo die Formeln vor mir auf dem Papier stehen und sich weigern, mit mir zu kommunizieren, in meinen Kopf zu wandern, es sich dort bequem zu machen und die ganzen Wörter rauszuschmeißen, weil die nichts wert sind, was ist schon Sprache, Wichtigtuerei, was braucht man schon, um zu kommunizieren, bestimmt nicht diesen ganzen Wortbrei, diesen vorgefertigten Matsch, den sich alle immer wieder gegenseitig in den Mund legen und wieder rausklauben und sich dabei so unglaublich wichtig nehmen mit ihrem leeren Gekotze.

© Anna Fastabend, 2011